Evangelische Spiritualität ist vielfältig und bunt,
sie kennt eine Vielzahl von Ausdrucksformen. Die beiden Grundpfeiler Evangelischer Spiritualität nennt Martin Luther in der Predigt zur Einweihung der Schlosskirche in Torgau: „…dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang.“
Evangelische Spiritualität ist hörende Spiritualität,
ein hineinlauschen in ein Wort der Heiligen Schrift, in deren Worten Gott zu einem Menschen und zu seiner Kirche sprechen kann. Darum ist es gut, sich für die Bibel immer wieder Zeit zu nehmen, sei es – beispielsweise – für die Texte aus der ökumenischen täglichen Bibellese oder für die Losungen und Lehrtexte oder für den
Wochenspruch. Die Wochensprüche zum Kirchenjahr sind knapp, bildhaft, schnell erlernbar und man kann sie, einmal auswendig gelernt, in die verschiedensten Situationen hinein mitnehmen.
Evangelische Spiritualität ist betende Spiritualität.
Im Gebet hält der Mensch sich, seine Mitmenschen und die ganze Welt Gott hin. Dazu bedarf es nicht unbedingt der Worte. Auch das schweigende Verweilen in der Gegenwart des Gegenwärtigen kann Gebet sein. Das Beten hat viele Facetten: ein Hilfeschrei aus der Not, ein Dank, ein Lob. Singen kann intensiviertes Beten sein.
Evangelische Spiritualität ist Sakramentenspiritualität. Wasser, Brot, Wein, Elemente der Schöpfung und die Frucht menschlicher Arbeit bringen das Heil nahe. Durch unsere Taufe sind wir mit Jesus Christus verbunden, hineingetauft in seine unendliche Güte, herausgenommen aus dem Kreisen um uns selbst, geöffnet zum ewigen Leben mit Gott und zur Gemeinschaft mit den Schwestern und Brüdern in der einen Kirche. Im Abendmahl wird in den Gaben von Brot und Wein die Nähe des Auferstandenen
erfahrbar, für jede und jeden einzelnen und für alle, die am Abendmahl teilnehmen.
Evangelische Spiritualität ist Spiritualität in Gemeinschaft.
Glaube ist Glaube im Gespräch, auch im Gespräch mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger. Glaube ist Glaube in der fürsorgenden Liebe für die Schwestern und Brüder.
Evangelische Spiritualität ist Spiritualität in Verantwortung.
Sie hat die Welt im Blick. Sich als von Gott, dem Schöpfer wahrgenommen erlebend, nimmt der Mensch die Mitgeschöpfe wahr und setzt sich ein für ihr Wohl.
Wolfgang Max
Seelsorger am Klinikum Pforzheim
Apostolisches Glaubensbekenntnis
Ich glaube an Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters,
von dort wird er kommen
zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten
und das ewige Leben.
Amen
( Dieses Bekenntnis geht auf die apostolische Verkündigung des Neuen Testaments zurück. Als Taufbekenntnis war es Grundlage der Glaubensunterweisung im Abendland und wurde dann fester Bestandteil der reformatorischen Katechismen. Im sonntäglichen Gottesdienst ist es bekennender Lobpreis und zugleich ständiges Taufgedächtnis.)
Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel
Wir glauben an den einen Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
der alles geschaffen hat,
Himmel und Erde,
die sichtbare und die unsichtbare Welt.
Und an den einen Herrn Jesus Christus,
Gottes eingeborenen Sohn,
aus dem Vater geboren vor aller Zeit:
Gott von Gott, Licht vom Licht,
wahrer Gott vom wahren Gott;
gezeugt, nicht geschaffen;
eines Wesens mit dem Vater;
durch ihn ist alles geschaffen.
Für uns Menschen und zu unserm Heil
ist er vom Himmel gekommen,
hat Fleisch angenommen
durch den Heiligen Geist
von der Jungfrau Maria
und ist Mensch geworden.
Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus,
hat gelitten und ist begraben worden,
ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift
und aufgefahren in den Himmel.
Er sitzt zur Rechten des Vaters
und wird wiederkommen in Herrlichkeit,
zu richten die Lebenden und die Toten;
seiner Herrschaft wird kein Ende sein.
Wir glauben an den Heiligen Geist,
der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht,
der mit dem Vater und dem Sohn
angebetet und verherrlicht wird,
der gesprochen hat durch die Propheten,
und die eine, heilige, allgemeine
und apostolische Kirche.
Wir bekennen die eine Taufe
zur Vergebung der Sünden.
Wir erwarten die Auferstehung der Toten
und das Leben der kommenden Welt.
Amen
(Dieses, den christlichen Kirchen des Ostens und des Westens gemeinsame „ökumenische“ Glaubensbekenntnis wurde auf den Konzilien des 4. Jahrhunderts als verbindlicher Ausdruck des christlichen Glaubens festgestellt. Es war ursprünglich Taufbekenntnis, das in die sonntägliche Liturgie der griechischen, später auch der lateinischen Kirche übernommen wurde. Das Glaubenslied (EG 183) ist eine gemeindegemäße Fassung dieses Bekenntnisses.)
Der Kleine Katechismus
Luthers Katechismus (1529) erwuchs aus Predigten über die Hauptstücke des christlichen Glaubens ( 10 Gebote, Glaubensbekenntnis, Vaterunser, Taufe und Abendmahl). Als volkstümliche Lehrschrift wurde der Kleine Katechismus zu einer „Laienbibel“, welche die grundlegenden Glaubensaussagen der Bibel einprägsam zusammenfasst. In der badischen Ausgabe des Evangelischen Gesangbuches ist der Kleine Katechismus unter der Nummer 883 abgedruckt.
Der Heidelberger Katechismus
Der Heidelberger Katechismus (1563) ist die bedeutendste Lehrschrift der reformierten Kirche. Das umfangreiche und anspruchsvolle Unterrichtsbuch war mit vielen biblischen Belegstellen versehen, schlug aber auch, wie schon die 1. Frage zeigt, immer wieder einen seelsorgerlichen Ton an.
Frage 1
Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?
Dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin, der mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkömmlich bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst hat und also bewahrt, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupte kann fallen, ja auch mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss. Darum er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens versichert und ihm forthin zu leben von Herzen willig und bereit macht.
Ein Auszug aus dem Heilberger Katechismus ist im badischen Gesangbuch unter der Nummer 884 abgedruckt.
Das Augsburger Bekenntnis
Das von Philipp Melanchthon verfasste Augsburger Bekenntnis (1530) ist „das gemeinsame Grundbekenntnis der Kirchen der Reformation“. Es sollte zeigen, dass die Evangelischen keine neue Kirche gründen wollten, sondern auf dem Boden der „allgemeinen christlichen Kirche“ standen. Die Formulierungen zu den grundlegenden Themen drücken bis heute das evangelische Selbstverständnis gültig und fasslich aus.
Der erste Teil des Augsburger Bekenntnisses ist in der badischen Ausgabe des Evangelischen Gesangbuches unter der Nummer 885 abgedruckt.
Ich glaube
Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.
Ich glaube, dass auch Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.
Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Schicksal ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.
Amen.
Dietrich Bonhoeffer, Einige Glaubenssätze über das Walten Gottes in der Geschichte, in: Widerstand und Ergebung, Prolog